Streitigkeiten mit Arztzeugnissen

Arbeit gegen Lohn, dies ist die Regel. Ausnahmen davon gibt es mehrere. So schuldet der Arbeitgeber dem Arbeitnehmer während einer beschränkten Zeit auch dann Lohn, wenn dieser infolge von Krankheit oder Unfall ohne eigenes Verschulden an der Arbeitsleistung verhindert ist. Der Angestellte hat seine Arbeitsunfähigkeit aber nachzuweisen. Gewöhnlich wird der Mitarbeiter ein Arztzeugnis vorweisen. Kann der Arbeitnehmer mit anderen Beweismitteln die Arbeitsunfähigkeit nachweisen, darf die Berufung auf andere taugliche Beweismittel nicht verwehrt werden.

Gesetzliche Grundlage

Es gibt keine ausdrückliche Regelung, welche die rechtliche Ausgestaltung des Arztzeugnisses normiert. Einen Hinweis gibt es in Art. 28 Abs. 5 AVIG, dass ein Arbeitsloser seine Arbeitsunfähigkeit mit einem ärztlichen Zeugnis nachweisen muss.

Krankheit

Das Gesetz definiert nirgends, was Krankheit im Sinne von OR 324a ist. Es ist weder der sozialversicherungsrechtliche noch der medizinisch-theoretische Krankheitsbegriff massgebend. Eine Krankheit im Sinne des Arbeitsrechts liegt dann vor, wenn die physische oder psychische Gesundheit des Arbeitnehmers derart beeinträchtigt ist, dass es ihm nicht möglich oder nicht zumutbar ist, zu arbeiten. Diese Unmöglichkeit oder Unzumutbarkeit attestiert der Arzt durch Angabe des Grades der Arbeitsunfähigkeit. Er ist dabei notgedrungen auf die Angaben seines Patienten übe die im Betrieb konkret zu erbringende Arbeitsleistung angewiesen.

Arztzeugnis

Gemäss Art. 34 der Standesordnung FMH (Berufsverband) sind Arztzeugnisse Urkunden. Bei deren Ausstellung haben Arzt und Ärztin alle Sorgfalt anzuwenden und nach bestem Wissen ihre ärztliche Überzeugung auszudrücken. Ein Standard-Arztzeugnis enthält alle erforderlichen Angaben, wenn es sich über den Grad und die Dauer der Arbeitsunfähigkeit ausspricht. Formell benötig es zusätzlich das Datum und die Unterschrift des behandelnden Arztes (evtl. mit Stempel der Praxis) sowie die Angaben des Patienten.

Beweiswert

Grundsätzlich hat der Arbeitnehmer seine Arbeitsunfähigkeit von Beginn weg zu beweisen. Häufig und sinnvoll sind vertragliche Regelungen, wonach ein Arztzeugnis bei Krankheit erst beispielsweise ab dem dritten Tag einer Abwesenheit vorzulegen ist Dem Arztzeugnis kommt kein absoluter Beweiswert zu (reine Parteibehauptung), doch ist darauf abzustellen, solange nicht begründete Zweifel an dessen Richtigkeit bestehen. Dabei können sich die Zweifel aus dem Arztzeugnis selbst ergeben, wenn etwa der Beginn der attestierten Arbeitsunfähigkeit mehrere Tage (über 3 Tage) und ohne nachvollziehbare Gründe vor der Erstkonsultation liegt oder aus dem Verhalten des Arbeitnehmers während der angeblichen Arbeitsunfähigkeit.

Gefälligkeitszeugnis

In solchen Fällen ist dem Arbeitgeber zu empfehlen, sofort das Gespräch mit dem Arzt zu suchen. Trotz Schweigepflicht soll und darf der Arzt die Arbeitsunfähigkeit insoweit erläutern, dass der Arbeitgeber genaueren Aufschluss über die Dauer und den Grad der Arbeitsunfähigkeit erhält. Der Arzt kann auch darüber Auskunft geben, wie weit das Resultat auf blossen Patientenschilderungen und wie weit es auf eigenen Untersuchungen des Arztes beruht. Gefälligkeitszeugnisse können für einen Arzt strafrechtliche Konsequenzen haben. Ärzte, die vorsätzlich ein unwahres Zeugnis ausstellen, das zum Gebrauche bei einer Behörde oder zur Erlangung eines unberechtigten Vorteils bestimmt, oder das geeignet ist, wichtige und berechtigte Interessen Dritter zu verletzen werden mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder Geldstrafe bestraft.

Vertrauensärztliche Untersuchung

Oft begegnen Arbeitgeber Arztzeugnissen mit Misstrauen. Zweifel sind angebracht, falls etwa die ärztliche Untersuchung erst einige Zeit nach dem bescheinigten Beginn der Arbeitsunfähigkeit stattgefunden hat. Unter solchen Voraussetzungen ist eine vertrauensärztliche Untersuchung angezeigt, deren Kosten der Arbeitgeber (jedenfalls zunächst) zu tragen hat. Klar ist, dass auch der Vertrauensarzt der Geheimhaltungspflicht untersteht. Umstritten ist hingegen, ob es zu dieser Untersuchung einer entsprechenden Abrede im Arbeitsvertrag bedarf oder Zweifel am Zeugnis für sich selber genügen. Obwohl Letztere wegen der Treuepflicht (hier als Obliegenheit) des Arbeitnehmers ausreichen dürften, ist eine Vertragsabrede stets zu empfehlen. Manche GAV sehen deshalb explizit die Möglichkeit einer vertrauensärztlichen Untersuchung vor (vgl. Art. 26 Ziff. 3 L-GAV).Die Untersuchung stellt keine Persönlichkeitsverletzung dar (BGE 125 III 70).

Verweigerung der Untersuchung

Falls der Arbeitnehmer sich der vertrauensärztlichen Untersuchung, die der Arbeitgeber verlangen darf, nicht unterzieht, kann er dazu nicht gezwungen werden. Dies liegt in der Natur einer Obliegenheit begründet, die im Unterschied zu einer eigentlichen Rechtspflicht nicht zwangsweise durchgesetzt werden kann. Vielmehr hat der Arbeitnehmer die Folgen seiner unberechtigten Weigerung zu tragen. Der Arbeitgeber kann nach vorgängiger rechtsgenüglicher Verwarnung zur fristlosen Kündigung berechtigt sein.

Arztzeugnis gegen vertrauensärztliches Zeugnis

In der Regel stellt der Vertrauensarzt die Diagnonse aufgrund der Akten. Bei einem Widerspruch zwischen den Angaben des Hausarztes und des Vertrauensarztes, ist in der Regel die persönliche und zeitnahe Konsultation ausschlaggebend, es sei denn das erste Zeugnis wurde rückwirkend ausgestellt. In diesem Fall entscheidet letztlich das Gericht in freier Würdigung beider Atteste und anderer Belege, ob eine Arbeitsunfähigkeit vorliegt oder nicht. 

In einem solchen Fall sollte die Arbeitgeberin zuerst versuchen, eine Klärung der Differenz herbeizuführen. In der Regel wird der Vertrauensarzt die Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung des erstuntersuchenden Arztes bereits kennen, während umgekehrt noch keine Kenntnis über den Widerspruch vorhanden sein wird. Es ist deshalb zweckmässig, wenn die Arbeitgeberin den Hausarzt mit Arztzeugnis des Vertrauensarztes konfrontiert und um eine schriftliche Erklärung bittet. Wird keine plausible Erklärung abgegeben, muss sich die Arbeitgeberin entscheiden, ob sie das Risiko eines Gerichtsprozesses eingehen will. Dabei ist zu berücksichtigen, dass ein Gericht sehr viel Wert auf die Art und Weise der vertrauensärztlichen Untersuchung legt. Konnte der Vertrauensarzt den Arbeitnehmer gar nicht persönlich untersuchen, so wird die Arbeitsunfähigkeitsbestätigung des erstuntersuchenden Arztes in der Regel weitaus mehr Beweiswert haben als dasjenige des Vertrauensarztes. Umgekehrt wird die Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung des erstuntersuchenden Arztes weniger Beweiswert haben, wenn es sich dabei um ein rückwirkendes Arztzeugnis handelt. Schliesslich bleibt es im Ermessen des Gerichts, auf welches Zeugnis sie sich abstützen.

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