Das Schweizer Erbrecht
Gesetzliche Erbfolge in der Schweiz
Die gesetzliche Erbfolge kommt dann zum Zuge, wenn die Erblasserin oder der Erblasser nichts Weiteres bestimmt hat, also kein Testament und keinen Erbvertrag hinterlassen hat (Art. 457-462 ZGB).
Die gesetzlichen Erbinnen und Erben bestimmen sich nach dem formellen Nähegrad zur Erblasserin bzw. zum Erblasser. Dies nennt man das Parentelsystem, wobei das Erbrecht in der Schweiz drei Parentelen unterscheidet. Im ersten Parentel befinden sich alle Nachkommen, welche in gleicher Weise mit der Erblasserin oder dem Erblasser verwandt sind. Zum zweiten Parentel gehören die Eltern der Erblasserin bzw. des Erblassers und zum dritten die Grosseltern. Die genannten Parentelen erben in nachfolgender Reihenfolge: Nachkommen, Eltern, Grosseltern. Die jeweils nähere Parentel schliesst immer die übrigen Parentelen im Sinne einer Rangordnung von der Erbfolge aus. Das heisst, dass nur wenn keine Nachkommen vorhanden sind, die Eltern und nur wenn keine Nachkommen und keine Eltern vorhanden sind, die Grosseltern erben.
Neben der Verwandtschaft erbt auch immer die Ehegattin bzw. der Ehegatte sowie die eingetragene Partnerin bzw. der eingetragene Partner der Erblasserin oder des Erblassers mit. Der Anspruch der Ehegattin bzw. des Ehegatten sowie der eingetragenen Partnerin bzw. des eingetragenen Partners ist unterschiedlich, je nachdem mit welchen Verwandten sie oder er zu teilen hat:
- Wenn Nachkommen vorhanden sind, erhält die Ehegattin bzw. der Ehegatte oder die eingetragene Partnerin bzw. der eingetragene Partner die Hälfte der Erbschaft.
- Wenn die Eltern der Erblasserin bzw. des Erblassers noch leben, dann erhält sie oder er ¾ der Erbschaft.
Wenn nur noch die Grosseltern der Erblasserin bzw. des Erblassers leben, dann erhält die Ehegattin oder der Ehegatte die ganze Erbschaft.
Pflichtteil nach Schweizer Erbrecht
Die Möglichkeit der Erblasserin bzw. des Erblassers über seinen Nachlass frei zu entscheiden (mittels eines Testaments oder Erbvertrages), ist zugunsten gewisser Personen eingeschränkt. Mittels des sog. Pflichtteils soll bestimmten Personen ein Mindestanteil am Nachlass gesichert werden. Von diesem darf nur unter besonderen Gründen abgewichen werden.
Solche Pflichtteile bestehen im Schweizer Erbrecht für:
- Die Ehegattin bzw. den Ehegatten sowie der eingetragenen Partnerin bzw. des eingetragenen Partners
- Die Nachkommen
Die verfügbare Quote ist derjenige Bruchteil am Nachlass, der übrig bleibt, wenn die gesetzlichen Pflichtteile der obengenannten Erbinnen und Erben abgezogen wurden. Die Erblasserin bzw. der Erblasser kann darüber frei bestimmen.
Der Pflichtteil entspricht einem im Gesetz (Art. 471 ZGB) festgelegten Anteil des gesetzlichen Erbanspruchs. Seitdem das revidierte Erbrecht im Januar 2023 in Kraft getreten ist, beträgt der Pflichtteil für jede pflichtteilsgeschützte Partei die Hälfte des gesetzlichen Erbanspruchs.
Beispiel: Die Erblasserin hinterlässt den Ehegatten und 2 Kinder. Ihr Nachlass beträgt CHF 100‘000.00.
Gesetzlicher Erbanspruch (falls kein Testament oder Erbvertrag vorliegt):
- Nachkommen: ½ des Nachlasses und da es 2 Kinder sind, hat jedes Kind einen Anspruch auf ¼
- Ehegatte: ½ des Nachlasses
Pflichtteil:
- Nachkomme 1: ¼ (gesetzlicher Erbanteil) x ½ (Pflichtteil) = 1/8
- Nachkomme 2: ¼ (gesetzlicher Erbanteil) x ½ (Pflichtteil) = 1/8
- Ehegatte: ½ (gesetzlicher Erbanteil) x ½ (Pflichtteil) = ¼
- Rest: 4/8 frei verfügbar
Nachlass | Pflichtteil | Betrag |
Pflichtteil Nachkommen 1 | 1/8 | CHF 12'500.00 |
Pflichtteil Nachkommen 2 | 1/8 | CHF 12'500.00 |
Pflichtteil Ehegatte | ¼ | CHF 25'000.00 |
Frei Verfügbare Quote | 4/8 | CHF 50'000.00 |
Total Nachlass | 1 | CHF 100'000 |
Die eingetragene Partnerin bzw. der eingetragene Partner wird vom Gesetz der Ehegattin bzw. dem Ehegatten gleichgestellt.
Erbteilung: wer erbt welchen Anteil?
Von Gesetzes wegen ist die Teilung der Erbschaft grundsätzlich Sache der Erbinnen und Erben (Art. 607 ZGB). Dies kann durch reale Teilung oder durch Abschluss eines Erbteilungsvertrages erfolgen. Der Teilungsvertrag muss schriftlich erstellt werden, damit er gültig ist. Besteht Uneinigkeit über die Teilung des Nachlasses, so kann grundsätzlich die Teilung jederzeit durch die einzelne Erbin bzw. den einzelnen Erben verlangt werden. Ausnahme davon bildet ZGB 605. Zur Durchsetzung des Teilungsanspruchs kann nötigenfalls auch die Richterin oder der Richter mittels Erbteilungsklage angerufen werden.
Die Erblasserin bzw. der Erblasser kann in einer letztwilligen Verfügung Vorschriften über die Teilung des Nachlasses erlassen. Davon können die Erbinnen und Erben jedoch abweichen, wenn sie alle einverstanden sind. Vorbehalten bleibt die Ernennung einer Willensvollstreckerin bzw. eines Willensvollstreckers durch die Erblasserin bzw. den Erblasser. Diese oder dieser hat das Recht und die Pflicht, die Teilung des Nachlasses nach den Vorschriften der Erblasserin bzw. des Erblassers oder des Gesetzes vorzunehmen.
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Häufige Fragen zum Erbrecht
Kann ich einem Pflichtteilserben den Erbteil entziehen?
Wenn der Pflichtteilserbe freiwillig auf seinen Pflichtteil verzichten will, kann der Erblasser mit ihm einen Erbverzichtsvertrag abschliessen. Ist er nicht freiwillig bereit, auf seien Pflichtteil zu verzichten, kann ihm dieser, wenn gewisse Voraussetzungen vorliegen, mittels einer Enterbung entzogen werden. Eine solche kommt beispielsweise bei einer schweren Straftat des Pflichtteilserben gegen den Erblasser oder eine ihm nahestehende Person in Frage oder auch wenn die familienrechtlichen Pflichten schwer verletzt werden. Eine Enterbung muss durch den Erblasser in Form der letztwilligen Verfügung angeordnet werden.
Die Enterbung ist abzugrenzen von der Erbunwürdigkeit, welche von Gesetzes wegen eintritt und beispielsweise in folgenden Fällen vorliegt: vollendete oder versuchte Tötung des Erblassers; Verhinderung oder Beeinflussung einer Verfügung von Todes wegen z.B. durch Arglist, psychischen Zwang, Drohung, Beseitigen oder ungültig machen einer Verfügung von Todes wegen.
Kann ich meinen Ehegatten maximal begünstigen?
Es besteht in der Praxis oft der Wunsch, seine Ehegattin oder seinen Ehegatten maximal zu begünstigen. Dies kann einerseits im Rahmen der eherechtlichen Bestimmungen (z.B. durch Zuweisung des gesamten Vorschlags bei der Errungenschaftsbeteiligung) und erbrechtlichen Bestimmungen (z.B. andere Erben und Erbinnen auf den Pflichtteil setzen und die gesamte verfügbare Quote der Ehegattin oder dem Ehegatten zuweisen, Einräumung der lebenslangen Nutzniessung am Nachlass). Um eine maximale Begünstigung zu vereinbaren, ist der Abschluss eines kombinierten Ehe- und Erbvertrages sinnvoll.
Hafte ich nach der Erbteilung für die Anteile der anderen Erben?
Die Haftung der Erben gegenüber Dritten für Erbgangs- und Erbschaftsschulden dauert grundsätzlich bis zur Auflösung der Ebengemeinschaft an. Die Erben haften solidarisch. Jedoch kann die Haftung der Erben auch nach der Teilung andauern, wenn die Gläubiger in eine Teilung oder Übernahme der Schulden nicht ausdrücklich eingewilligt haben. Die Solidarhaftung der Erben entfällt nur in den Fällen der amtlichen Liquidation, der Ausschlagung durch alle Erben oder der konkursamtlichen Liquidation.
Nach der Teilung haften die Miterben unter sich für Erbschaftssachen wie Käufer und Verkäufer (Art. 637 ZGB).